Interview zu „Scheiblettenkind“
mit Autorin Eva Müller und Regisseurin Babett Grube
Eva, wie bist du auf die Idee zu deiner Graphic Novel „Scheiblettenkind“ gekommen?
Ich habe an dem Buch viele Jahre gearbeitet. Der Arbeitstitel war simpel „Arbeit“, so heißt auch noch der Projektordner auf meinem Laptop. Ich wollte in dem Buch alle Arbeitsstellen beschreiben, die ich jemals hatte, denn es waren viele für mein Alter. Nachdem ich meiner Freundin Rebecca die ersten Kapitel meines Buchs gezeigt hatte, meinte sie: Du schreibst nicht nur über Arbeit, du schreibst über Klasse. Daraufhin hat sie mir Bücher empfohlen: Annie Ernaux, Didier Eribon, Silvia Federici und der Fokus meines Buchs hat sich auf das Thema Klasse verschoben.
Wie beginnst du deinen künstlerischen Prozess bei einer Graphic Novel, kommen dir erst die Bilder oder erst die Geschichte?
Ich schreibe und zeichne im Wechsel, meistens gibt es zuerst Worte, oft nur Notizen, daraus entstehen dann Abschnitte, dann zeichne ich Bilder, dann schreibe ich wieder. Die Worte und die Zeichnung beeinflussen sich dabei gegenseitig.
In „Scheiblettenkind“ wird die Hauptfigur immer wieder von einer Schlange heimgesucht, die ihr einredet, nicht gut genug zu sein. Wofür steht diese Schlange und wieso hast du dieses Tier als Symbol ausgewählt?
Die Schlange ist in einer Artist Residency in Tokio entstanden. Ich war dort zwei Monate im Auftrag der japanischen Kulturbehörde und durfte an meinem Comic arbeiten. In Japan werden Tiere häufig als Symbol für Gefühle benutzt. Die Schlange steht in „Scheiblettenkind“ für innere Zweifel, Selbstkritik und für die destruktiven Gedanken. Sie flüstert der Hauptfigur ein, dass sie nicht gut genug ist, dass ihre Herkunft oder ihr „Platz“ in der Gesellschaft sie weniger wertvoll macht. Ich habe die Schlange als Symbol gewählt, weil sie subtil und schleichend ist. Diese inneren Stimmen, die einem das Gefühl geben, nicht zu genügen, sind oft nicht direkt greifbar, aber sie haben dennoch einen enormen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten.
„Scheiblettenkind“ beschäftigt sich mit dem Thema Klassismus und setzt die Geschichte einer Person immer wieder ins Verhältnis zur deutschen (Arbeiter*innen-)Geschichte. Gibt es etwas, das du jungen Menschen diesbezüglich gerne mitgeben möchtest?
Mir ist immer wichtig, zu betonen, dass die Ungleichheiten und Herausforderungen, die viele Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder sozialen Klasse erleben, nicht ihre persönliche Schuld sind. Sie sind das Ergebnis struktureller Probleme, die über Generationen hinweg entstanden sind. Diese Ungleichheiten sind nicht das Resultat individueller Fehler oder Unzulänglichkeiten, sondern vielmehr das Produkt von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systemen, die bestimmte Gruppen benachteiligen. Individuen können sich zwar gegen diese Strukturen wehren oder versuchen, ihre eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, aber die Ursachen für diese Ungleichheiten liegen oft außerhalb der Kontrolle einer einzelnen Person.
Welche Erfahrungen machst du mit jungen Menschen bei deinen Lesungen?
Bisher sind die Erfahrungen durchweg positiv. Viele können mit meiner Geschichte relaten. Andere sind verständnisvoll. Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird ja leider größer. Deswegen bin ich froh, eine große Offenheit zu erleben und den Wunsch, die Strukturen zu hinterfragen. Viele junge Menschen sind engagiert und bereit, sich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen und aktiv nach Wegen zu suchen, wie sie Dinge verbessern können.
„Scheiblettenkind“ wird am Theater an der Parkaue das erste Mal auf einer Theaterbühne zu sehen sein. Hast du einen Wunsch an die Inszenierung?
Was ich mir wünsche, ist, dass auch der Humor eingefangen wird. Denn mein Buch ist bei allem Ernst auch oft lustig.
Babett, du wirst die Uraufführung von „Scheiblettenkind“ inszenieren. Was hat dein Interesse an diesem Stoff geweckt?
Ich mag es, wenn ernste, wichtige Themen unserer Zeit mit humorvollen, verspielten Elementen verbunden sind. Auf diese Weise fällt es leichter, sich gemeinsam Realitäten zu nähern und den Mut zu behalten, sie verändern zu können.
Wie sehr ist deiner Meinung nach Klassismus ein drängendes Thema für junge Menschen in Berlin?
Ich hoffe, dass unser Stück uns dazu ins Gespräch kommen lässt, denn ich weiß es nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich wird grundsätzlich immer größer und ich habe den Eindruck, dass „reich sein wollen“ ein riesiges Thema für junge Leute ist. Nur die Realität sieht in vielen Familien anders aus. Ich vermute, dass Abwertungen und Ausgrenzung oder das eigene Minderwertigkeitsgefühl mitunter sogar extrem sind. Gerade da in den letzten Jahren der Klassismus auch innerhalb der öffentlichen, politischen Debatte unverantwortlich zugenommen hat. Das macht etwas mit einem. Das beeinflusst einen ja.
Eine Graphic Novel für die Bühne zu adaptieren ist sicherlich nicht ganz leicht. Gibt es hier spezielle Herausforderungen? Und wirst du comic-hafte Elemente nutzen?
Für unser Team bestehend aus Lan Anh Pham (Bühne), Hanne Lenze-Lauch (Kostüm) und Karolin Serafin (Video) ist es eine wirklich tolle Herausforderung und tatsächlich gar nicht so leicht. Graphic Novels und Comics zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie durch die Kombination von Bild und Text eine ganz eigene Symbiose der Erzählung erschaffen. Zugleich ist die Verbindung von Bild und Text aber auch großer Teil des Erzählens im Theater. Auch wir schreiben mit Bildern, wenn man so will. Und so erarbeiten wir anhand des Textes eine eigene Welt, die immer wieder Bildelemente oder sogar einzelne Bilder der Graphic Novel konkret aufgreift und vergrößert. Ebenso wie im Comic gibt es schnelle Wechsel in Bewegung und Haltung, Situationen und Figuren, Überzeichnung durch Kostüme oder auch schnelle Perspektivwechsel zwischen Zentral-, Vogel- und Froschperspektive.
Für das Bühnenbild hast du mit deiner Bühnenbildnerin Lan Anh Pham einen großen Tisch gewählt, um den das Publikum herumsitzt. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Für mich ist ein Tisch Sinnbild für Gemeinschaft, Versammlung und das, was Gemeinschaft teilt. Wem sie Platz gibt am Tisch. Ob und was sie an einem Tisch miteinander aushandelt. Das kann für Gesellschaft aber auch für Familie stehen. Für mich steht der Tisch in der Inszenierung für die Anforderung der Familie der Hauptfigur sich ihren Glaubensätzen und Ängsten unterzuordnen. Und die sind selbst stark geprägt von internalisiertem Klassismus, den sie ihr ungewollt und unbewusst weitergeben. Und die Protagonistin merkt, dass sie damit brechen muss, um sich selbst von ihrer Scham zu befreien. – „Um den Tisch herum begegnet und bricht der Mensch sowohl mit sich selbst als auch mit seiner Umgebung.“
Ich habe an dem Buch viele Jahre gearbeitet. Der Arbeitstitel war simpel „Arbeit“, so heißt auch noch der Projektordner auf meinem Laptop. Ich wollte in dem Buch alle Arbeitsstellen beschreiben, die ich jemals hatte, denn es waren viele für mein Alter. Nachdem ich meiner Freundin Rebecca die ersten Kapitel meines Buchs gezeigt hatte, meinte sie: Du schreibst nicht nur über Arbeit, du schreibst über Klasse. Daraufhin hat sie mir Bücher empfohlen: Annie Ernaux, Didier Eribon, Silvia Federici und der Fokus meines Buchs hat sich auf das Thema Klasse verschoben.
Wie beginnst du deinen künstlerischen Prozess bei einer Graphic Novel, kommen dir erst die Bilder oder erst die Geschichte?
Ich schreibe und zeichne im Wechsel, meistens gibt es zuerst Worte, oft nur Notizen, daraus entstehen dann Abschnitte, dann zeichne ich Bilder, dann schreibe ich wieder. Die Worte und die Zeichnung beeinflussen sich dabei gegenseitig.
In „Scheiblettenkind“ wird die Hauptfigur immer wieder von einer Schlange heimgesucht, die ihr einredet, nicht gut genug zu sein. Wofür steht diese Schlange und wieso hast du dieses Tier als Symbol ausgewählt?
Die Schlange ist in einer Artist Residency in Tokio entstanden. Ich war dort zwei Monate im Auftrag der japanischen Kulturbehörde und durfte an meinem Comic arbeiten. In Japan werden Tiere häufig als Symbol für Gefühle benutzt. Die Schlange steht in „Scheiblettenkind“ für innere Zweifel, Selbstkritik und für die destruktiven Gedanken. Sie flüstert der Hauptfigur ein, dass sie nicht gut genug ist, dass ihre Herkunft oder ihr „Platz“ in der Gesellschaft sie weniger wertvoll macht. Ich habe die Schlange als Symbol gewählt, weil sie subtil und schleichend ist. Diese inneren Stimmen, die einem das Gefühl geben, nicht zu genügen, sind oft nicht direkt greifbar, aber sie haben dennoch einen enormen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten.
„Scheiblettenkind“ beschäftigt sich mit dem Thema Klassismus und setzt die Geschichte einer Person immer wieder ins Verhältnis zur deutschen (Arbeiter*innen-)Geschichte. Gibt es etwas, das du jungen Menschen diesbezüglich gerne mitgeben möchtest?
Mir ist immer wichtig, zu betonen, dass die Ungleichheiten und Herausforderungen, die viele Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder sozialen Klasse erleben, nicht ihre persönliche Schuld sind. Sie sind das Ergebnis struktureller Probleme, die über Generationen hinweg entstanden sind. Diese Ungleichheiten sind nicht das Resultat individueller Fehler oder Unzulänglichkeiten, sondern vielmehr das Produkt von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systemen, die bestimmte Gruppen benachteiligen. Individuen können sich zwar gegen diese Strukturen wehren oder versuchen, ihre eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, aber die Ursachen für diese Ungleichheiten liegen oft außerhalb der Kontrolle einer einzelnen Person.
Welche Erfahrungen machst du mit jungen Menschen bei deinen Lesungen?
Bisher sind die Erfahrungen durchweg positiv. Viele können mit meiner Geschichte relaten. Andere sind verständnisvoll. Die Ungleichheit in der Gesellschaft wird ja leider größer. Deswegen bin ich froh, eine große Offenheit zu erleben und den Wunsch, die Strukturen zu hinterfragen. Viele junge Menschen sind engagiert und bereit, sich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen und aktiv nach Wegen zu suchen, wie sie Dinge verbessern können.
„Scheiblettenkind“ wird am Theater an der Parkaue das erste Mal auf einer Theaterbühne zu sehen sein. Hast du einen Wunsch an die Inszenierung?
Was ich mir wünsche, ist, dass auch der Humor eingefangen wird. Denn mein Buch ist bei allem Ernst auch oft lustig.
Babett, du wirst die Uraufführung von „Scheiblettenkind“ inszenieren. Was hat dein Interesse an diesem Stoff geweckt?
Ich mag es, wenn ernste, wichtige Themen unserer Zeit mit humorvollen, verspielten Elementen verbunden sind. Auf diese Weise fällt es leichter, sich gemeinsam Realitäten zu nähern und den Mut zu behalten, sie verändern zu können.
Wie sehr ist deiner Meinung nach Klassismus ein drängendes Thema für junge Menschen in Berlin?
Ich hoffe, dass unser Stück uns dazu ins Gespräch kommen lässt, denn ich weiß es nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich wird grundsätzlich immer größer und ich habe den Eindruck, dass „reich sein wollen“ ein riesiges Thema für junge Leute ist. Nur die Realität sieht in vielen Familien anders aus. Ich vermute, dass Abwertungen und Ausgrenzung oder das eigene Minderwertigkeitsgefühl mitunter sogar extrem sind. Gerade da in den letzten Jahren der Klassismus auch innerhalb der öffentlichen, politischen Debatte unverantwortlich zugenommen hat. Das macht etwas mit einem. Das beeinflusst einen ja.
Eine Graphic Novel für die Bühne zu adaptieren ist sicherlich nicht ganz leicht. Gibt es hier spezielle Herausforderungen? Und wirst du comic-hafte Elemente nutzen?
Für unser Team bestehend aus Lan Anh Pham (Bühne), Hanne Lenze-Lauch (Kostüm) und Karolin Serafin (Video) ist es eine wirklich tolle Herausforderung und tatsächlich gar nicht so leicht. Graphic Novels und Comics zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie durch die Kombination von Bild und Text eine ganz eigene Symbiose der Erzählung erschaffen. Zugleich ist die Verbindung von Bild und Text aber auch großer Teil des Erzählens im Theater. Auch wir schreiben mit Bildern, wenn man so will. Und so erarbeiten wir anhand des Textes eine eigene Welt, die immer wieder Bildelemente oder sogar einzelne Bilder der Graphic Novel konkret aufgreift und vergrößert. Ebenso wie im Comic gibt es schnelle Wechsel in Bewegung und Haltung, Situationen und Figuren, Überzeichnung durch Kostüme oder auch schnelle Perspektivwechsel zwischen Zentral-, Vogel- und Froschperspektive.
Für das Bühnenbild hast du mit deiner Bühnenbildnerin Lan Anh Pham einen großen Tisch gewählt, um den das Publikum herumsitzt. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Für mich ist ein Tisch Sinnbild für Gemeinschaft, Versammlung und das, was Gemeinschaft teilt. Wem sie Platz gibt am Tisch. Ob und was sie an einem Tisch miteinander aushandelt. Das kann für Gesellschaft aber auch für Familie stehen. Für mich steht der Tisch in der Inszenierung für die Anforderung der Familie der Hauptfigur sich ihren Glaubensätzen und Ängsten unterzuordnen. Und die sind selbst stark geprägt von internalisiertem Klassismus, den sie ihr ungewollt und unbewusst weitergeben. Und die Protagonistin merkt, dass sie damit brechen muss, um sich selbst von ihrer Scham zu befreien. – „Um den Tisch herum begegnet und bricht der Mensch sowohl mit sich selbst als auch mit seiner Umgebung.“