Von Hoffnung und Dystopie
Stefan Wipplinger
Im Februar 2020 hatte ich das Glück, Sam Steiners „You Stupid Darkness!“ im Londoner Southwark Playhouse zu sehen. Ich war angetan, aber nicht überwältigt, fand das Dystopische daran zu unkonkret, um „politisch“ oder „relevant“ zu sein. Und war überzeugt: In Deutschland funktioniert das nicht.
Wie groß mein Glück aber war, verstand ich erst, als wenige Wochen später die ersten Lockdowns kamen, die Theater dicht waren. Als Worte wie „Quarantäne“, „Triage“, „Inzidenz“ es aus dem Sprachgebrauch von Katastrophenerzählungen sehr rasch in den Alltag der gesamten Erdbevölkerung schafften.
Als Rausgehen zur Gefahr für vulnerable Gruppen und die Sorge um das Seelenheil von Kindern, Alten und Alleinstehenden zur Bürger*innenpflicht wurde. Plötzlich schien das Szenario so gar nicht mehr dystopisch, sondern äußerst real, und das öffnete den Blick für das, worum es, wie mir mittlerweile klar ist, in Sams Stück wirklich geht. Denn wie auch in seinem ersten Stück interessiert der Autor sich weniger dafür, wie die Katastrophe stattfindet, die Gesellschaft sich verändert, als dafür, wie seine Figuren damit umgehen. Wie sie klarkommen.
Wenn sie vom Außen erzählen, ist der Informationsgehalt zweitrangig, nicht selten widersprüchlich und rätselhaft. Der Fokus liegt darauf, wie sie den Fokus setzen, wie sie einander erzählen, zuhören, Anteil nehmen und Erzähltes wieder aufgreifen. Konkret wird das Ausmaß des Desasters eigentlich nur durch den Blick des Misanthropen Jon. Wenn Frances erzählt, dann will sie den Zitronenkuchen loben. Joey träumt vom Bodyboarden oder erinnert sich an die Graphitstifte in seiner Kindheit. Und Angie hat sogar noch von einem Wanderausflug mit ihren Schulkindern zu erzählen. Und selbst Jon hat seinen Kampf gegen den eigenen Pessimismus noch nicht ganz aufgegeben, schleppt sich einmal die Woche zur Posaunenstunde und geht zelten, während er von einstürzenden Brücken und kollabierenden Wäldern berichtet.
Das vage Gefühl, dass es ganz so schlimm dann eigentlich schon nicht sein werde da draußen, nimmt Sam Steiner dem Publikum schnell wieder weg, indem er nach und nach den Zerfall der Dinge von draußen nach drinnen kriechen lässt. Doch! Es ist schlimm.
Doch die Beschissenheit der Dinge hält Sam Steiners Figuren nicht davon ab, gruppendynamische Motivationsspiele zu machen, lässt sie nicht verzweifeln, sondern spornt sie an, sich umso liebevoller um sich selbst und um die Anderen zu sorgen. Und dass, obwohl sie sich eigentlich kaum kennen und nur durch Zufall zusammengewürfelt wurden. Was sie zur Gemeinschaft macht, ist der Wunsch sich für ein paar Stunden die Woche nützlich zu machen, indem sie Menschen am Telefon ein Ohr leihen. Und auch hier, von den Leben der Anderen, verrät der Text implizit nur das, worauf das Team von „Brightline“ reagiert: mit Rat, Vergewisserung, Neugier, Verständnis und Emphase – kurz: mit Hoffnung.
Hoffnung ist das, was sie antreibt und sie zugleich immer wieder suchen. Was die Zuschauer*innen sich wünschen und jede*r Leser*in sofort versteht. Hoffnung ist das, was auch den Autor antreibt, seine Figuren in eine denkbar hoffnungslose Situation zu bringen. Weil sie nur dort ein wirklich gutes Thema ist.
Als ich begann, das Stück zu übersetzen, war die Pandemie bereits über ein Jahr alt.
Sie war zwischenzeitlich aus den Köpfen fast verschwunden gewesen, hatte uns aber wieder und wieder eingeholt. Sie hat deutlich gemacht, wie schnell und umfangreich politisch Maßnahmen gesetzt werden können, wenn alle – oder sagen wir: die Mehrheit – die Gefahr begriffen haben. Sie hat die Wissenschaft für eine Zeit lang ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit gerückt und um Sorgearbeit (Care-Arbeit) immerhin einen Diskurs begonnen, der längst überfällig war. Denn beides, Wissenschaft und Pflege, droht die Logik des Kapitals kaputt zu sparen, solange es nicht auffällt. Und dabei wissen wir längst: die eigentliche Krise kommt erst noch.
Auf die Frage, ob es irgendetwas gibt, das er sein Publikum über das Stück wissen lassen möchte, sagt Sam Steiner: Nur, dass es weder ein Stück über die Pandemie noch über die Klima-Krise ist. Sondern eines über Optimismus unter erschwerten Bedingungen, wie er sagt. Oder über Hoffnung, frage ich. Und er meint: Well, maybe. Vielleicht ist Hoffnung ja das, was zwischen Optimismus und Pessimismus liegt, und zwischen Frances auf der einen und Jon auf der anderen Seite entstehen kann. Eine Form von Positivität ohne Gewissheit, dass „alles gut“ wird.
Wie groß mein Glück aber war, verstand ich erst, als wenige Wochen später die ersten Lockdowns kamen, die Theater dicht waren. Als Worte wie „Quarantäne“, „Triage“, „Inzidenz“ es aus dem Sprachgebrauch von Katastrophenerzählungen sehr rasch in den Alltag der gesamten Erdbevölkerung schafften.
Als Rausgehen zur Gefahr für vulnerable Gruppen und die Sorge um das Seelenheil von Kindern, Alten und Alleinstehenden zur Bürger*innenpflicht wurde. Plötzlich schien das Szenario so gar nicht mehr dystopisch, sondern äußerst real, und das öffnete den Blick für das, worum es, wie mir mittlerweile klar ist, in Sams Stück wirklich geht. Denn wie auch in seinem ersten Stück interessiert der Autor sich weniger dafür, wie die Katastrophe stattfindet, die Gesellschaft sich verändert, als dafür, wie seine Figuren damit umgehen. Wie sie klarkommen.
Wenn sie vom Außen erzählen, ist der Informationsgehalt zweitrangig, nicht selten widersprüchlich und rätselhaft. Der Fokus liegt darauf, wie sie den Fokus setzen, wie sie einander erzählen, zuhören, Anteil nehmen und Erzähltes wieder aufgreifen. Konkret wird das Ausmaß des Desasters eigentlich nur durch den Blick des Misanthropen Jon. Wenn Frances erzählt, dann will sie den Zitronenkuchen loben. Joey träumt vom Bodyboarden oder erinnert sich an die Graphitstifte in seiner Kindheit. Und Angie hat sogar noch von einem Wanderausflug mit ihren Schulkindern zu erzählen. Und selbst Jon hat seinen Kampf gegen den eigenen Pessimismus noch nicht ganz aufgegeben, schleppt sich einmal die Woche zur Posaunenstunde und geht zelten, während er von einstürzenden Brücken und kollabierenden Wäldern berichtet.
Das vage Gefühl, dass es ganz so schlimm dann eigentlich schon nicht sein werde da draußen, nimmt Sam Steiner dem Publikum schnell wieder weg, indem er nach und nach den Zerfall der Dinge von draußen nach drinnen kriechen lässt. Doch! Es ist schlimm.
Doch die Beschissenheit der Dinge hält Sam Steiners Figuren nicht davon ab, gruppendynamische Motivationsspiele zu machen, lässt sie nicht verzweifeln, sondern spornt sie an, sich umso liebevoller um sich selbst und um die Anderen zu sorgen. Und dass, obwohl sie sich eigentlich kaum kennen und nur durch Zufall zusammengewürfelt wurden. Was sie zur Gemeinschaft macht, ist der Wunsch sich für ein paar Stunden die Woche nützlich zu machen, indem sie Menschen am Telefon ein Ohr leihen. Und auch hier, von den Leben der Anderen, verrät der Text implizit nur das, worauf das Team von „Brightline“ reagiert: mit Rat, Vergewisserung, Neugier, Verständnis und Emphase – kurz: mit Hoffnung.
Hoffnung ist das, was sie antreibt und sie zugleich immer wieder suchen. Was die Zuschauer*innen sich wünschen und jede*r Leser*in sofort versteht. Hoffnung ist das, was auch den Autor antreibt, seine Figuren in eine denkbar hoffnungslose Situation zu bringen. Weil sie nur dort ein wirklich gutes Thema ist.
Als ich begann, das Stück zu übersetzen, war die Pandemie bereits über ein Jahr alt.
Sie war zwischenzeitlich aus den Köpfen fast verschwunden gewesen, hatte uns aber wieder und wieder eingeholt. Sie hat deutlich gemacht, wie schnell und umfangreich politisch Maßnahmen gesetzt werden können, wenn alle – oder sagen wir: die Mehrheit – die Gefahr begriffen haben. Sie hat die Wissenschaft für eine Zeit lang ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit gerückt und um Sorgearbeit (Care-Arbeit) immerhin einen Diskurs begonnen, der längst überfällig war. Denn beides, Wissenschaft und Pflege, droht die Logik des Kapitals kaputt zu sparen, solange es nicht auffällt. Und dabei wissen wir längst: die eigentliche Krise kommt erst noch.
Auf die Frage, ob es irgendetwas gibt, das er sein Publikum über das Stück wissen lassen möchte, sagt Sam Steiner: Nur, dass es weder ein Stück über die Pandemie noch über die Klima-Krise ist. Sondern eines über Optimismus unter erschwerten Bedingungen, wie er sagt. Oder über Hoffnung, frage ich. Und er meint: Well, maybe. Vielleicht ist Hoffnung ja das, was zwischen Optimismus und Pessimismus liegt, und zwischen Frances auf der einen und Jon auf der anderen Seite entstehen kann. Eine Form von Positivität ohne Gewissheit, dass „alles gut“ wird.
Stefan Wipplinger ist Dramatiker, Regisseur und Theaterübersetzer. Geboren 1986 in Oberösterreich studierte er von 2012 bis 2016 an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben. 2016 feierte sein Debüt „Hose Fahrrad Frau“ Premieren in Wien und Braunschweig. Seine Stücke werden vom Verlag der Autoren vertreten. „You Stupid Darkness!“ ist das zweite Stück nach „Lemons Lemons Lemons Lemons Lemons“, das er von Sam Steiner ins Deutsche übersetzt hat.