Warum feiern wir auch in stürmischen Zeiten?

Ein Gespräch mit der Autorin Gwendoline Soublin über Zusammenhalt und Lebensmut.
Was verbindest du mit einer Fiesta?
Ein Fest, auch während all der Dramen des Lebens, ist die Möglichkeit, sich zu versammeln, sich zu lieben, zu lachen und auf der Asche zu tanzen. Es bedeutet, sich eine Zeit für Rituale zu gönnen, die die Welt neu ordnen und sie weniger chaotisch machen. Es bedeutet, sich zu erinnern, sich die Etappen und Momente des Lebens in sein Gedächtnis einzuprägen – und das Heilige im Unheiligen zu finden.

Du hast dein Stück „Fiesta“ mitten in der Corona-Pandemie geschrieben. Wie bist du in dieser Situation auf die Idee gekommen, eine Gruppe von Kindern einen heftigen, fast märchenhaften Sturm erleben zu lassen?
Im Herbst 2020 führte ich einen Workshop mit Schüler*innen durch. Ich sollte einen kurzen Text für sie schreiben, den sie vor Kindern aufführen sollten, um zu erleben, was Theater für ein junges Publikum bedeutet. Es war die Zeit der Ausgangssperren, der geschlossenen Geschäfte, Masken und Abstandsregeln, und wir wurden daran gehindert, dieses zukünftige kleine Stück vor Kindern aufzuführen. Aber ich schrieb trotzdem einen Text: „Fiesta“. Ich hatte mir eigentlich geschworen, dass ich nicht über die Pandemie schreiben würde – und dann wurde es schließlich zu einer Notwendigkeit. Ich musste daraus eine Geschichte machen, um meinen Überdruss, meine Traurigkeit und meinen Lebenswillen zum Ausdruck zu bringen. Umso mehr, da ich zum Zeitpunkt des Schreibens Geburtstag hatte! Und wie Nono hatte ich angesichts all der Verbote nur noch einen Gedanken: Gegen die Regeln verstoßen, meinen Rucksack packen, in die Nacht hinausgehen, mutig und frech sein und mit meinen Freund*innen feiern, gegen alle Widerstände!
Ich wollte jedoch nicht, dass die Katastrophe in der Geschichte eine Pandemie ist – ich fand das nicht sehr theatral und außerdem wollte ich eine eher metaphorische Katastrophe, die im Jahr 2020 oder auch 2050 erzählt werden kann. Ein Sturm war perfekt: verspielt, fantasievoll, spektakulär.

Der Sturm in deiner Geschichte heißt „Maria Theresia“. Warum?
Ich war auf der Suche nach einem lustigen Vornamen, der ein Frauenname ist – denn sehr oft werden Stürmen weibliche Vornamen gegeben, stell dir diese Frauenfeindlichkeit vor! – und ein bisschen nach Großmutter klingt. Ich habe also ganz natürlich an meine eigene Großmutter gedacht: Marie-Thérèse. Ich weiß, dass dieser Name in
Deutschland an eine historische Figur erinnert, was bei uns in Frankreich überhaupt nicht der Fall ist.

Die Kinder in deinem Stück gehen ganz anders mit der veränderten Situation um als die Erwachsenen. War das eine Beobachtung, die du in dieser besonderen Zeit gemacht hast?
Ich habe das nicht direkt in meiner Umgebung beobachtet. Aber ich erinnere mich an Geschichten, in denen Kinder nach den Terror-Anschlägen auf den Musikclub Bataclan in Frankreich „Unter Attacke“ spielten. Oder ein kleines Mädchen, das mir erzählt hatte, dass sie auf dem Schulhof „Donald Trump“ spielte. Ich liebe all diese Geschichten über die Spiele von Kindern, wie sie aus Katastrophen Spiele machen und in der Lage sind, durch das Spiel eine Befreiung, also eine Katharsis, zu bewirken. In „Fiesta“ ist es genau das: Die Kinder spielen den Sturm, sie wollen ihm so trotzen, sie nehmen ihn nicht ernst und sind dann am Ende doch von ihm betroffen. Sie sind inmitten des Stillstands sehr lebendig – und das, ja, das habe ich in meiner Umgebung gesehen. Kinder leben auf demselben Planeten wie wir und sind daher wie Erwachsene tausend Schattierungen von Emotionen ausgesetzt. Sie sind komplex.

Und was bedeutet Krise für dich?
Eine Krise ist das Ende von etwas und der Beginn von etwas anderem. Die Welt hat sich nach der Pandemie nicht radikal verändert, aber es gab individuelle Erkenntnisse darüber, was man noch wollte und was nicht mehr. Das ist bei mir der Fall. Die Pandemie, das ist mir klar geworden, hat mein Leben neu geordnet und mich ermessen lassen, was mir wirklich wichtig ist.

Viele Menschen erlebten während der Pandemie Einsamkeit und Isolation. Aber deine Figuren machen alles gemeinsam durch, als Gruppe, als enge Freund*innen. Welche Rolle hat die Freundschaft für dich beim Schreiben gespielt?
Ich liebe es ungemein, Geschichten mit Kinderbanden zu schreiben. Als kleines Mädchen habe ich viel mit meinen Schwestern, Nachbar*innen und Freund*innen gespielt. Ich habe wunderbare Erinnerungen an eine laute, fröhliche und abenteuerlustige Truppe. Während der Pandemie sehnte ich mich nach all dem Lärm, dem freundschaftlichen Chaos, dem Leben eben. Freundschaft ist ein wunderbares Gefühl: ein gewähltes Band, das Empathie, Hilfsbereitschaft und Neugier auf den anderen fördert. Was die Kinder von „Fiesta“ vor der Verzweiflung rettet, ist, dass sie zusammen sind, vereint, solidarisch. Und sie lieben ihren Freund Nono so sehr, dass sie zu großem Mut und großer Willenskraft fähig sind.


Das Gespräch führte Dramaturgin Sabine Salzmann.