Auf ins Abenteuer!

Regisseur Jan Gehler im Gespräch zur Premiere „Sasja und das Reich jenseits des Meeres“
Eine fantastische Abenteuerreise mit starken Kinderfiguren zu den großen Themen des Lebens – das ist der Roman „Sasja und das Reich jenseits des Meeres“ der schwedischen Autorin Frida Nilsson, den wir am Theater an der Parkaue erstmalig einem Theaterpublikum vorstellen.

Kurz vor Probenbeginn war Sabine Salzmann, Dramaturgin, im Gespräch mit Jan Gehler, der diesen märchenhaften Stoff mit viel Spielfreude und Musik inszeniert.
SABINE Jan, du bist schon lange begeistert von Nilssons Roman und nun wirst du ihn auf unsere große Bühne bringen. Was fasziniert dich an diesem Buch? Und warum gehört dieses Abenteuer für dich auf die Bühne?
JAN Ich habe den Roman schon vor einer Weile gelesen und mich hat er sehr schnell berührt. Das Buch hat auf mich einen so großen Sog ausgeübt, dass ich neben Sasja am Meer stand und versucht habe, mit ihm auf seinem Weg verschiedene Abenteuer zu bestehen. Und warum ich das fürs Theater so wertvoll und geeignet halte, liegt daran, dass der Stoff nicht nur starke Themen beackert, sondern dass auch die Figuren alle sehr stark und plastisch sind. Die tollen Dialoge, die Frida Nilsson geschrieben hat, sind sehr theatertauglich und machen den Roman für mich sofort dramatisch.
SABINE Das Buch erzählt die Geschichte des Jungen Sasja, der eine ganz besondere Reise unternimmt. Er folgt seiner kranken Mutter, die vom Tod mit einem Schiff ins Reich jenseits des Meeres entführt wird und versucht, sie zurückzuholen. Wie können wir uns dieses Reich vorstellen?
JAN Das Reich ist eigentlich so ähnlich wie unsere Welt und doch ganz anders. Es ist eine große Insel, die in drei unterschiedliche Welten unterteilt ist und es gibt merkwürdige Wesen. In einer der Welten leben die Hildiner, das sind schweine-ähnliche Wesen, dann gibt es die Spartaner, die Hunden ähneln und im großen schneebedeckten Gebirge sind die Harpyien, adlerähnliche Wesen. Und ganz im Norden hat der Tod seine Residenz. Da kann aber kein Schiff anlanden. Deswegen muss Sasja durch alle Welten hindurch, um zum Tod zu gelangen, wo er seine Mutter vermutet. Es ist also eine fantastische Welt, die viele Anleihen nimmt zu den Landschaften in unserer Realität und doch irgendwie geheimnisvoll bleibt.
SABINE Wie in jeder guten Abenteuergeschichte findet die Hauptfigur, in dem Fall Sasja, besondere Freund*innen, die ihm beistehen auf dieser großen und gefährlichen Reise. Wer sind sie und was machen sie aus?
JAN Das Schöne ist, dass man in der Geschichte bei dem Beginn von Freundschaften dabei ist. Sasja hatte den großen Mut, in das unbekannte Reich, ins Ungewisse, aufzubrechen. Und dieser Mut wird sozusagen anerkannt und belohnt von den Wesen aus diesem Reich, von Trine und der Prinzessin von Sparta, die seinen Schritt mutig finden und ihm helfen wollen. Sie können seine Lage verstehen und so gibt es eine große Solidarität von seinen neuen Freund*innen. Und dabei sind die beiden, und das ist auch das Tolle an Freundschaften, sehr unterschiedlich. Die Welten und Wesen in diesem Reich stehen nämlich in einer Art Konkurrenz zueinander. Die können sich dort alle gegenseitig nicht so richtig ausstehen. Und wie dann Freundschaften auch über scheinbar unüberbrückbare Differenzen entstehen, weil sie alle das Ziel haben, Sasja zu helfen, das mag ich. Diese Freundschaft wird allerdings auch auf die Probe gestellt ...
SABINE Im Reich des Todes gibt es sowohl Kinder als auch Erwachsene, wobei die Erwachsenen alle für den Tod arbeiten, der über das Reich herrscht. Sasja rüttelt zusammen mit Trine und der Prinzessin heftig an der Ordnung der Welt und den Regeln der Erwachsenen. Welche Rolle spielen die Erwachsenen für dich?
JAN Das Verhältnis zwischen den Generationen finde ich sehr spannend, weil, das meinte ich vorhin, dieses Reich ganz anders ist und doch auch unserer Welt ähnelt, da unsere Probleme oder Eigenheiten auch dort zutreffen. Denn zwischen der Eltern- und Kindergeneration besteht ja oft die Unfähigkeit oder Schwierigkeit, die Perspektive der anderen Seite zu verstehen. Es interessiert mich sehr, wie Sasja in diese zwar fantastische, aber doch auch starre Welt neuen Schwung reinbringt. Er ist wie ein Pingpongball, der alles durcheinanderwirbelt. Die Eltern und Erwachsenen wollen eigentlich, das alles so bleibt, wie es immer war. Bloß keine „Schwierigkeiten“, keine Veränderungen. Und genau das hinterfragen Sasja und seine Freund*innen.

Wie oder wer oder was ist der Tod?

SABINE Einer der Höhepunkte des Romans ist, als Sasja mit seinen Gefährt*innen den Palast des Todes erreicht. Für mich ist das ein märchenhafter Moment, weil der Tod im Roman als Person mit spezifischen Eigenheiten auftaucht. Was für eine Figur ist der Tod für dich und wie nimmst du die Begegnung mit Sasja wahr?
JAN Ja, das ist schon eine Besonderheit des Romans, dass der Tod nämlich, über den die ganze Zeit geredet und vor dem die ganze Zeit Angst gehabt wird, auftritt und dann erstmal sehr, sehr nett ist. Der ist völlig anders, als man es sich vorstellen würde, denn bei ihm gibt es leckeren Kuchen und man kann spielen. Der Tod ist eigentlich eine philosophische Figur, die auch einen kritischen Blick auf die Geschehnisse der Welt hat. Deswegen finde ich die Dialoge und Begegnungen mit ihm toll, weil der viele weise Dinge sagt, die ich auch sofort unterschreiben würde. Und gleichzeitig ist er sehr eingebildet, wird als gutaussehend beschrieben. Ein schnöselhafter Typ, der weiß, dass er eine große Macht hat. Deswegen ist er ein toller Antagonist. Sasja braucht allen Mut, um ihm zu begegnen.
SABINE Durch die ungewöhnliche Charakterisierung vom Tod und durch die Darstellung dieses Reichs entsteht ein besonderer Blick auf das Thema Vergänglichkeit sowie ein spielerischer Umgang damit. Das knüpft an die fantasievollen und lustigen Ideen an, die Kinder oft haben, wenn sie sich den Tod vorstellen oder sich darüber unterhalten. Während Kinder meist neugierig fragen und sich das „Danach“ wirklich ausmalen und es verstehen wollen, haben Erwachsene oftmals eine große Scheu und setzen das Thema sofort mit Trauer in Verbindung oder tabuisieren es sogar. Wie siehst du das, kann dieses Stück einen Beitrag leisten, um an diesem Tabu ein wenig zu rütteln und Barrieren vielleicht auch abzubauen?
JAN Ich glaube, dass man das wahrscheinlich nicht mit einem Stück komplett schafft. Aber ich denke auch, dass Kinder sehr viel spielerischer mit Vergänglichkeit umgehen. Zum Beispiel beobachten sie die Vergänglichkeit in der Natur, wie die Bäume ihre Blätter verlieren und kommen dann zu dem Schluss: Ja, auch das Leben ist endlich. Und wir Erwachsenen in unserer Gesellschaft, jedenfalls in unserem Kulturkreis, verdrängen das Thema und beschäftigen uns mit dem Tod immer erst, wenn wir selbst damit konfrontiert sind oder Menschen um uns herum. Aber wenn wir den Tod in unserer Gesellschaft „draußen“ halten, erleben wir ihn immer nur als Schock. Dem möchte ich entgegensetzen, den Tod und die Vergänglichkeit als etwas zu betrachten, was zum Leben dazugehört. Das schafft Frida Nilsson in dieser Geschichte und ich finde, das ist auch unser Auftrag. Es ist kein Stück über den Tod, es ist ein Stück mit dem Tod und das finde ich wertvoll. Ich würde mir auch mehr Stücke, mehr Bücher, mehr Filme wünschen, die einen fantastischen, spielerischen und auch einen leichteren Umgang damit haben. Die ältere Generation könnte durchaus hin und wieder die Perspektive von Kindern einnehmen und sich was von ihnen abgucken.

Die Bühne als Reich des Todes

SABINE Für diese große Welt, die Frida Nilsson entworfen hat, erfindest du mit deinem künstlerischen Team und dem Ensemble eine ganz eigene Bühnenwelt. Was wird uns erwarten und was ist die Herausforderung?
JAN Ich glaube, die Herausforderung ist, dass beim Lesen des Buches die fantastischen Welten schon ganz natürlich im Kopf entstehen. Bei unserer Arbeit geht es jetzt darum, wie man etwas auf der Bühne darstellen kann, das diese Fantasie ebenso anregt, ohne eins zu eins dargestellt zu werden. Das heißt, wir werden verschiedene Welten erschaffen und es wird natürlich den Tod geben. Es wird auch Kuchen und viele Kämpfe geben. Also, weil Sasja und seine Freund*innen immer sehr viel spielen, und zwar Fechtspiele mit Stöcken.
SABINE Sasjas großer Auftrag an sich selbst ist, seine Mama zurückzuholen. Wie das ausgeht, möchte ich hier noch gar nicht verraten, denn ob er das schafft, macht ja unter anderem die große Spannung dieses Buches aus. Ich finde aber auch, dass es noch so viele andere spannende Stellen gibt. Was ist deine Lieblingsstelle, worauf freust du dich besonders?
JAN Ich freue mich wirklich auf alles, was ich jetzt noch nicht weiß. Auf die Leerstellen, die ich mit den Spieler*innen erfinden möchte. Und eine meiner Lieblingsstellen ist, wo sich die Kinder, also die Freund*innen von Sasja, entscheiden müssen, ob sie sich gegen ihre Eltern stellen und für die Freundschaft einstehen. Das finde ich einfach sehr beeindruckend, wie sich Kinder manchmal in die Herzen schauen und sagen: Der möchte was Gutes und ich helfe ihm, auch wenn das für mich Konsequenzen hat. Die Szenen finde ich immer toll, wo die Kinder den Mut haben, einen Schritt ins Ungewisse zu wagen. Das ist etwas, was ich mir gerne abgucken würde. Und das machen wir auf den Proben. Wir gehen einfach ins Ungewisse.

Fotos: David Baltzer