Nah an der Gegenwart
Interview mit Christina Schulz, Matin Soofipour Omam und Pauri Röwert aus dem Magazin „Theater und Schule 1“
Ein Gespräch über neue Erzählungen für junges Publikum mit Intendantin Christina Schulz, Dramaturgin Matin Soofipour Omam und Pauri Röwert aus dem Team Künstlerische Vermittlung und Partizipation. Gemeinsam mit der Autorin Luna Ali sprachen die drei über Erfahrungen in der ersten Spielzeit und fragten: Welche Geschichten bewegen Berliner Kinder und Jugendliche? Wie können sich Theater und Schule begegnen? Und welche partizipativen Angebote gibt es?
LUNA Bei Hannah Arendt findet sich der Gedanke, dass mit der Geburt eines jeden Menschen ein Anfang gesetzt wird. Daran musste ich denken, als ich mich auf unser Treffen heute vorbereitet habe. Ihr arbeitet für und mit jungen Menschen. Eure erste Spielzeit stand unter dem Vorzeichen eines Neustarts auf mehreren Ebenen. Wenn ihr zurückschaut: Welche Fragen haben euren Start an der Parkaue begleitet?
PAURI Wir wollten und wollen Räume für junge Menschen öffnen. Räume der gelebten Partizipation und des Empowerments. Mit Blick auf die sehr diverse Berliner Stadtgesellschaft fragen wir uns: Wer wurde bisher nicht angesprochen, nicht im Programm mitgedacht? Wer konnte nicht teilhaben? Deshalb wollen wir Barrieren abbauen und laden Kinder und Jugendliche ein, die Parkaue auch aktiv mitzugestalten und ihre Themen selbst zu setzen.
CHRISTINA Oft sind Jugendliche näher am Puls der Zeit und fragen: Warum ist es so – und warum kann es nicht anders sein? In einer Gegenwart, in der „die Erwachsenen“ oft keine ausreichenden Antworten auf die drängenden Fragen mehr geben, stellen wir junge Perspektiven in den Mittelpunkt. Dieser Energie auch Raum zu geben und die Parkaue als einen Ort zu denken, an dem sie zu einem gesellschaftlichen Standpunkt wachsen kann, ist uns ein großes Anliegen.
LUNA Wie beeinflusst das die Auswahl von Stoffen für den Spielplan?
PAURI Wir wollten und wollen Räume für junge Menschen öffnen. Räume der gelebten Partizipation und des Empowerments. Mit Blick auf die sehr diverse Berliner Stadtgesellschaft fragen wir uns: Wer wurde bisher nicht angesprochen, nicht im Programm mitgedacht? Wer konnte nicht teilhaben? Deshalb wollen wir Barrieren abbauen und laden Kinder und Jugendliche ein, die Parkaue auch aktiv mitzugestalten und ihre Themen selbst zu setzen.
CHRISTINA Oft sind Jugendliche näher am Puls der Zeit und fragen: Warum ist es so – und warum kann es nicht anders sein? In einer Gegenwart, in der „die Erwachsenen“ oft keine ausreichenden Antworten auf die drängenden Fragen mehr geben, stellen wir junge Perspektiven in den Mittelpunkt. Dieser Energie auch Raum zu geben und die Parkaue als einen Ort zu denken, an dem sie zu einem gesellschaftlichen Standpunkt wachsen kann, ist uns ein großes Anliegen.
LUNA Wie beeinflusst das die Auswahl von Stoffen für den Spielplan?
MATIN Unsere Hauptfrage war: Wie können wir direkter auf die Gegenwart reagieren? Mit welchen Geschichten und Spielformen gehen wir – nach zwei Jahren Pandemieerfahrung – auf Schulklassen und Familien zu? Uns haben Figuren interessiert, die ihren Platz in der Welt suchen und erleben, dass ihr Handeln einen Unterschied macht. Da ist z. B. der junge Joey in „Du blöde Finsternis!“, der in einer Welt aufwächst, in der die Klimakrise das Leben der Menschen bestimmt, und der sich aber eben nicht zurückzieht, sondern rausgeht, Verbündete sucht und sich engagiert.
CHRISTINA Wir wünschen uns, dass Erwachsene, Kinder und Jugendliche über das, was sie gemeinsam sehen, auch miteinander ins Gespräch kommen. Ich denke da z. B. an die Szene zwischen Daniel und seiner Mutter in „Krummer Hund“, in der es aus ihm herausbricht: „Warum hast du mich nicht gefragt?“ In dem Moment sind selbst die Jugendlichen, die vorher vielleicht nicht ganz aufmerksam waren, wieder nah dran. Da entsteht plötzlich ein Dialog zwischen Generationen. Das kann das Kinder- und Jugendtheater viel mehr als ein Theater für Erwachsene.
MATIN Und es ist auch so: Wenn wir ein Theaterstück für Kinder ab fünf machen, dann meinen wir auch das 50-jährige Kind, das sich in der Geschichte oder Ästhetik wiederfinden kann. Für uns gilt: bei Altersempfehlungen gibt es ein „ab“, aber kein „bis“.
LUNA Im Programm fällt eine große Bandbreite auf: Jugendstücke und Tanzproduktionen stehen neben Stückentwicklungen, Performances und Kooperationen. Warum ist das so?
MATIN Wir möchten bewusst vielfältig in den Formaten sein, auch Tanz und Performatives für junges Publikum zeigen. Inhaltlich suchen wir zugleich nach einer Vielstimmigkeit. Wir verbinden uns mit Initiativen, die an der Schnittstelle von Theater und Aktivismus arbeiten. In der neuen Spielzeit gibt es eine Schreibwerkstatt von BITTER (SWEET) HOME, in der BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Autor*innen kollaborativ neue Texte fürs Theater entwickeln, mit einer antirassistischen Haltung – und zum ersten Mal für ein junges Publikum.
Gemeinsam mit dem Retzhofer Dramapreis fördern wir Autor*innen und stärken das Schreiben für Kinder- und Jugendtheater. „Funken“ war beispielsweise das Gewinnerstück 2021.
CHRISTINA Wir wünschen uns, dass Erwachsene, Kinder und Jugendliche über das, was sie gemeinsam sehen, auch miteinander ins Gespräch kommen. Ich denke da z. B. an die Szene zwischen Daniel und seiner Mutter in „Krummer Hund“, in der es aus ihm herausbricht: „Warum hast du mich nicht gefragt?“ In dem Moment sind selbst die Jugendlichen, die vorher vielleicht nicht ganz aufmerksam waren, wieder nah dran. Da entsteht plötzlich ein Dialog zwischen Generationen. Das kann das Kinder- und Jugendtheater viel mehr als ein Theater für Erwachsene.
MATIN Und es ist auch so: Wenn wir ein Theaterstück für Kinder ab fünf machen, dann meinen wir auch das 50-jährige Kind, das sich in der Geschichte oder Ästhetik wiederfinden kann. Für uns gilt: bei Altersempfehlungen gibt es ein „ab“, aber kein „bis“.
LUNA Im Programm fällt eine große Bandbreite auf: Jugendstücke und Tanzproduktionen stehen neben Stückentwicklungen, Performances und Kooperationen. Warum ist das so?
MATIN Wir möchten bewusst vielfältig in den Formaten sein, auch Tanz und Performatives für junges Publikum zeigen. Inhaltlich suchen wir zugleich nach einer Vielstimmigkeit. Wir verbinden uns mit Initiativen, die an der Schnittstelle von Theater und Aktivismus arbeiten. In der neuen Spielzeit gibt es eine Schreibwerkstatt von BITTER (SWEET) HOME, in der BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Autor*innen kollaborativ neue Texte fürs Theater entwickeln, mit einer antirassistischen Haltung – und zum ersten Mal für ein junges Publikum.
Gemeinsam mit dem Retzhofer Dramapreis fördern wir Autor*innen und stärken das Schreiben für Kinder- und Jugendtheater. „Funken“ war beispielsweise das Gewinnerstück 2021.
PAURI Auch in den Schulworkshops bieten wir bewusst ganz unterschiedliche Zugänge zu den Inszenierungen an: über Inhalte, über Sprache, aber auch über Tanz und Bewegung. Wir wollen alle Schulformen erreichen. Dabei ist Teil unserer Arbeit zu reflektieren, welche Aspekte kulturelle Teilhabe erschweren oder gar verhindern. Wir erleben den Theatermoment gemeinsam und sind doch alle verschieden und individuell – wie soll da Vermittlung über nur einen Zugang funktionieren?
LUNA In diesem Zusammenhang denke ich an den Kinder- und Jugendbeirat, den es seit Anfang des Jahres an der Parkaue gibt. Wie beeinflusst der Beirat eure Arbeit in der Dramaturgie und Vermittlung?
PAURI Der Beirat ist aus dem Paradox entstanden, dass Theater für junge Menschen fast ausschließlich von Erwachsenen gemacht wird. Im Beirat sind Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 15 Jahren aktiv, die die Parkaue mitgestalten wollen. Wir besuchen mit den Mitgliedern Theaterstücke und diskutieren viel. Welche Themen sind für sie interessant? Welche künstlerischen Formen, welche Künstler*innen?
PAURI Der Beirat ist aus dem Paradox entstanden, dass Theater für junge Menschen fast ausschließlich von Erwachsenen gemacht wird. Im Beirat sind Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 15 Jahren aktiv, die die Parkaue mitgestalten wollen. Wir besuchen mit den Mitgliedern Theaterstücke und diskutieren viel. Welche Themen sind für sie interessant? Welche künstlerischen Formen, welche Künstler*innen?
MATIN Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mehr Mitspracherecht brauchen, wenn es um ihre Belange geht. Der Beirat ist eine Idee, jungen Menschen mehr Gestaltungsraum zu geben. In der neuen Spielzeit beziehen wir den Beirat z. B. gezielt in die Entwicklung des Spielplans ein. Wir lesen zusammen neue Kinder- und Jugendstücke und können die Stoffe testen: Ist das eine Geschichte, die sie auf der Parkaue-Bühne sehen wollen?
LUNA Schulklassen sind für euch eine der wichtigsten Publikumsgruppen. Welche konkreten Projekte setzt ihr für und mit Schulen um?
MATIN In neuer Form bringen wir Theater und Schule zusammen mit den „Drei-Tage-Performances“. Das sind drei Solo-Stücke, die jeweils für drei Tage in Grundschulen stattfinden. „Stroguft“ z. B. beginnt damit, dass eines Morgens ein riesiges Ei im Schulflur liegt.
MATIN In neuer Form bringen wir Theater und Schule zusammen mit den „Drei-Tage-Performances“. Das sind drei Solo-Stücke, die jeweils für drei Tage in Grundschulen stattfinden. „Stroguft“ z. B. beginnt damit, dass eines Morgens ein riesiges Ei im Schulflur liegt.
PAURI Daraus entspinnt sich eine Geschichte, an der die Kinder ganz aktiv teilhaben. Und die sie einlädt, die Schule als einen Ort der Fantasie und des Abenteuers zu erleben. Wir haben über Ausschlüsse im System gesprochen. Theater kann Schule über solche Projekte in einen anderen Raum verwandeln, in dem nicht Leistungen und Vergleiche zählen, sondern Kreativität und Neugier.
CHRISTINA Schule ist ja ein ganz eigener Kosmos. Einerseits unterliegt sie als System ganz anderen Regeln, in denen sich die Schüler*innen bewegen müssen, anderseits sind Schulen sehr diverse Orte. Wie sich Theater und Schule bereichernd begegnen können, welche Projekte gut funktionieren, das wollen wir Schritt für Schritt erproben.
LUNA Da ist TUSCH eine wichtige Berliner Initiative, die seit vielen Jahren Schulen und Theater für jeweils drei Jahre miteinander vernetzt. Ihr beginnt im Herbst eine neue Kooperation.
CHRISTINA Schule ist ja ein ganz eigener Kosmos. Einerseits unterliegt sie als System ganz anderen Regeln, in denen sich die Schüler*innen bewegen müssen, anderseits sind Schulen sehr diverse Orte. Wie sich Theater und Schule bereichernd begegnen können, welche Projekte gut funktionieren, das wollen wir Schritt für Schritt erproben.
LUNA Da ist TUSCH eine wichtige Berliner Initiative, die seit vielen Jahren Schulen und Theater für jeweils drei Jahre miteinander vernetzt. Ihr beginnt im Herbst eine neue Kooperation.
PAURI Ja, mit der Paul-und-Charlotte-Kniese-Schule, einer inklusiven Schule mit Schwerpunkt auf Sehbehinderung aus Lichtenberg. Wir arbeiten dabei mit der Theaterpädagogin, Performerin und Behindertenrechtsaktivistin Sophia Neises zusammen. Die TUSCH-Kooperation knüpft gut an unsere Zusammenarbeit mit dem Berliner Spielplan Audiodeskription an. Seit letzter Spielzeit bieten wir Vorstellungen mit Tastführungen und Audiodeskription an. Damit wollen wir die Parkaue für blinde und sehbehinderte Menschen zugänglicher machen.
CHRISTINA Wir fragen uns immer, welche Bedingungen müssen wir schaffen, damit wir ein Projekt durchführen können? Welche Expertise muss vorhanden sein? Wen können wir einladen, uns zu begleiten? Wir haben uns vorgenommen, Barrieren abzubauen. Im Tun stellen wir fest, wo wir noch am Anfang stehen, z. B. bei unserer ersten inklusiven Residenz im letzten Jahr, aber auch, wo wir schon ein gutes Stück vorangekommen sind.
LUNA Kinder und Jugendliche können nicht nur in Workshops oder im Beirat aktiv sein, sondern auch in Spielclubs. Welche Bedeutung hat es für junge Menschen, selbst Theater zu machen?
CHRISTINA Das Besondere am Theater ist der Live-Moment. Andere schauen zu und setzen sich dazu ins Verhältnis. Das empfinde ich als eine große Qualität. Für Schauspieler*innen macht es einen Unterschied, wie Einzelne im Publikum reagieren. Diese Erfahrung machen spielende Jugendliche ebenfalls. Das eigene Theaterspielen verändert also auch die eigene Art Theater zu schauen. Wenn z. B. Jugendliche für Jugendliche spielen, erleben wir manchmal eine ganz andere Direktheit, eine andere Identifikation mit den Rollen und Fragen auf der Bühne, als wenn unser Ensemble spielt.
PAURI In den Clubs bestimmen Kinder und Jugendliche den Raum mit. Da werden Texte gemeinsam geschrieben und Szenen entwickelt, Bewegungen ausprobiert und Musikstücke komponiert. Kinder und Jugendliche haben nach der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf kulturelle Teilhabe und künstlerische Betätigung. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf unseren Bühnen Platz machen für junge Menschen und die Theaterstücke, die sie in den Spielclubs entwickeln. Sie sind nicht nur Rezipient*innen, sondern natürlich auch Künstler*innen, die ihre Positionen selbstbewusst auf der Bühne vertreten.
LUNA Kinder und Jugendliche können nicht nur in Workshops oder im Beirat aktiv sein, sondern auch in Spielclubs. Welche Bedeutung hat es für junge Menschen, selbst Theater zu machen?
CHRISTINA Das Besondere am Theater ist der Live-Moment. Andere schauen zu und setzen sich dazu ins Verhältnis. Das empfinde ich als eine große Qualität. Für Schauspieler*innen macht es einen Unterschied, wie Einzelne im Publikum reagieren. Diese Erfahrung machen spielende Jugendliche ebenfalls. Das eigene Theaterspielen verändert also auch die eigene Art Theater zu schauen. Wenn z. B. Jugendliche für Jugendliche spielen, erleben wir manchmal eine ganz andere Direktheit, eine andere Identifikation mit den Rollen und Fragen auf der Bühne, als wenn unser Ensemble spielt.
PAURI In den Clubs bestimmen Kinder und Jugendliche den Raum mit. Da werden Texte gemeinsam geschrieben und Szenen entwickelt, Bewegungen ausprobiert und Musikstücke komponiert. Kinder und Jugendliche haben nach der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf kulturelle Teilhabe und künstlerische Betätigung. Deshalb ist es wichtig, dass wir auf unseren Bühnen Platz machen für junge Menschen und die Theaterstücke, die sie in den Spielclubs entwickeln. Sie sind nicht nur Rezipient*innen, sondern natürlich auch Künstler*innen, die ihre Positionen selbstbewusst auf der Bühne vertreten.
Fotos: Paul Lovis Wagner