Vom Staunen

Interview mit Martin Heckmanns und Irina-Simona Bârcă aus dem Magazin „Theater und Schule #5“
Für die Wiedereröffnung der großen Bühne 1 entführt „Wazn Teez?“ in die zauberhafte Welt der Insekten und bringt das Kleine ganz groß heraus. Dramatiker Martin Heckmanns schreibt eigens für die Parkaue das gleichnamige beliebte Bilderbuch von Carson Ellis weiter, und die Inszenierung in der Regie von Alexander Riemenschneider feiert mit viel Livemusik und Zirkuselementen im November bei uns Premiere.

Mitten im Schreibprozess und in Vorbereitung von Vermittlungsangeboten rund um die Inszenierung sprachen Martin Heckmanns und Irina-Simona Bârcă, Leitung der Künstlerischen Vermittlung und Partizipation, mit Dramaturgin Sabine Salzmann darüber, was wir von den Insekten lernen können und was ein gutes Familienstück ausmacht.
SABINE Martin, du entwickelst deine Dramatik aus der Sprache und aus der Grundfrage: „Wie können wir überhaupt miteinander sprechen?“ Diese Beobachtung war für Intendant Alexander Riemenschneider Anlass, dich für ein Auftragswerk zu „Wazn Teez?“ anzufragen. – Wie ist das für dich, aus einem Bilderbuch, in dem wenige Sätze fallen, ein Theaterstück zu machen?

MARTIN Also, ich habe das Bilderbuch als eine Art Einladung empfunden, denn im Gegensatz zu meinem Schreiben sonst ist die Bühne schon vorbereitet. Die Figuren sind schon da, die Kostüme sind schon da, die Sprache ist in Ansätzen auch schon da, und fast wie ein Gast komme ich und versuche, mich auf die Gepflogenheiten dieser Welt einzustellen. Insofern ist das eine andere Schreibsituation als die für mich normale, wo ich alles selbst erfinde. Hier besteht bereits eine Welt, und ich darf Teil davon werden. Und dann ist so eine bestimmte Behutsamkeit gefragt, und ich will ein freundlicher Gast sein.

SABINE Die Handlung des Bilderbuchs würde ich so zusammenfassen: Eine Gruppe Insekten entdeckt einen kleinen Sprössling und fragt sich: „Wazn Teez? Was ist denn das?”. Die Neugierde auf das Neue lässt die Gruppe bei der Pflanze bleiben. Die Pflanze wird größer, die Insekten bauen sich ein Baumhaus, bis die Jahreszeiten wechseln und die Pflanze verblüht. Der Kreislauf des Lebens ist im Grunde die Geschichte. Welches Potenzial siehst du als Autor in dieser zarten Geschichte?
MARTIN Als Alexander mir das vorgeschlagen hat, war ich zuerst mal sehr verblüfft, weil die Erwartung, Theater behandelt die großen Dramen, enttäuscht wird. Aber dann fand ich es richtig überzeugend, dass man die Konzentration auf so was Elementares wie Insekten und Pflanzen lenkt. Es hat auch viel mit dieser Zeit zu tun, mit ökologischen Bewegungen zum Beispiel, damit, den Tieren eine Stimme zu geben, sie mitsprechen zu lassen, sie zu ermächtigen, auf sie zu hören. Die Aufmerksamkeit zu schärfen für Naturvorgänge. Und trotzdem hat „Wazn Teez?” ja Zirkusmomente. Diese Pflanze steht da in der Mitte und wird als eine Sensation behandelt. Aber es ist die Sensation des Gewöhnlichen oder des Einfachen.
SABINE Irina, du leitest seit Januar die Abteilung Künstlerische Vermittlung und Partizipation. Wie siehst du diese Themen aus deiner Position heraus in Hinblick auf unser Publikum?

IRINA Ich kann mich dem anschließen. Ich glaube, dass Fragen wie: „Auf was für einem Planeten leben wir? Wie sind hier die Vorgänge, wie funktioniert die Natur?“ große Themen sind, wenn man heranwächst. Deshalb gibt es bei uns auch eine Ferienwerkstatt im Herbst, in der Kinder zwischen 7 und 12 Jahren mit Künstler*innen eigene kleine Fantasienaturwelten bauen, Proben besuchen und die Themen Natur und Lebenszyklus erforschen können. Und ich finde, die Geschichte in dem Bilderbuch ist keineswegs so linear, sondern es gibt darin kleine Konflikte, die man hineininterpretieren oder hineinlesen kann. Und das Schöne an dem Bilderbuch ist, dass während man von Blatt zu Blatt immer weiterblättert, es zwischen diesen Seiten immer eine Pause gibt. Und in diesen Pausen oder Leerstellen kann auch etwas geschehen. Das ist auch ein Potenzial für das Stück, dass man durch diese Leerstellen dem Publikum einen Raum aufmachen kann, in dem sie selbst die eigene Fantasie, die eigenen Gedanken ergänzen können.

SABINE Das Besondere an Carson Ellis Buch ist auch, dass sie ihre Geschichte in einer erfundenen Sprache erzählt, der Sprache der Insekten. Der Spaß am Buch besteht oft darin, zu versuchen, den Sinn der Sätze zu entschlüsseln und dabei auf immer neue Möglichkeiten zu stoßen. Martin, ich stelle es mir sehr herausfordernd vor, das Sprachsystem dieser Fantasiesprache zu verstehen und damit weiterzuschreiben. Wie gehst du dabei vor, woran orientierst du dich? Und wie ist die Erfahrung für dich, mit dieser Sprache umzugehen?

MARTIN Ich habe tatsächlich in bestimmter Weise versucht, diese Sprache zu lernen. Ich habe mir ein Wörterbuch angelegt und versucht, mir diese Grammatik halbwegs klarzumachen. Beim Weiterentwickeln besteht die Herausforderung aber darin, dass es nicht didaktisch wird, dass man nicht den Eindruck hat, das ist jetzt eine Sprachlehrstunde und wir sollen alles verstehen. Es geht nicht darum, am Ende diese Sprache zu beherrschen. Ich finde eigentlich eher, dass es um das Wunder des Verstehens geht. Sachen bleiben immer im Unklaren, und doch finden Momente von Verstehen, von Witz und Einsicht statt. Das ist auch eine Frage, die man verallgemeinern kann: Beherrscht man eigentlich die Sprache oder lässt man sich von ihr anregen und verführen? Und die zentrale Frage ist für mich: Was heißt verstehen? Das hat auch mit diesen Naturvorgängen selbst zu tun. Auch da bleibt das Rätsel des Lebens bestehen. Man nähert sich dem an und versucht herauszufinden: Was ist das für ein Wesen? Wie gehen wir mit ihm um? Aber es ist kein abgeschlossener Prozess, sondern ein unendlicher, wie auch Verstehen ein unendlicher Prozess ist.
SABINE Irina, unser Publikum wächst zum großen Teil mehrsprachig auf. Sprachwissenschaftler*innen wie zum Beispiel Jochen Rehbein und Katharina Meng gehen davon aus, dass die menschliche Sprachfähigkeit grundsätzlich mehrsprachig angelegt und für alle Sprachen offen ist. Welche Rolle kann ein Stück wie „Wazn Teez?“ mit seinem „Insektisch“ dabei übernehmen, neue Zugänge zu Sprache zu finden?
„Beherrscht man eigentlich die Sprache oder lässt man sich von ihr anregen und verführen?“ Martin
IRINA Ich glaube, dass es eine wichtige Rolle einnehmen kann, weil das Stück eine neue Ausgangssituation schafft. Wir machen an der Parkaue spezielle Angebote für Willkommensklassen, z. B. für die Vorbereitung von Stücken, und bieten Fortbildungen für Lehrer*innen zum Thema „Theater und Sprache“ an. Bei „Wazn Teez?“ kennt niemand im Publikum diese Sprache, niemand beherrscht sie. Insofern sind alle in dem Sinne gleich, was ihren Wissensstand über diese Sprache angeht. Und das ist das Interessante für das Publikum, dass man einen Gleichstand hat, auch zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen, zwischen Eltern, Familien und Kindern. Und ich glaube, dass das eine große Chance ist für die Zugänglichkeit oder für unser Verständnis von Sprache.

Abgesehen davon sehe ich in diesem Stück auch die Chance, den Blick nicht nur auf die Abwesenheit der deutschen Lautsprache zu lenken, sondern auf die vielen anderen Theatersprachen, die ebenfalls immer Teil einer Aufführung sind und die genauso die sinnliche Wahrnehmung anregen: Bewegung, Licht, Musik ... Theater als ein sinnliches Ereignis. Und ich finde, das, was du, Martin, gerade über das Verstehen gesagt hast, ist ein wichtiges Thema im Kinder- und Jugendtheater. Zum Verstehen gehört auch das Nicht-Verstehen dazu und dieses Nicht-Verstehen, also die Fähigkeit, etwas auf sich wirken zu lassen, ohne das komplett durchdringen oder begreifen zu wollen, muss gelernt werden. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Kompetenz, die uns Theater ein Stück weit näherbringen kann.
MARTIN Das ist ja schließlich nicht der Anspruch von Kunst oder Theater, etwas endgültig verstehbar zu machen, sondern das Geheimnis zu wahren und damit den Zuschauer*innen einen bestimmten Spielraum zu lassen. Aber auch eine Vorsicht zu trainieren, dass man nicht zu schnell meint, etwas verstanden zu haben – und das lässt sich an viele aktuelle Debatten anschließen. Theater hat was Spielerisches. Was verstehe ich jetzt gerade musikalisch, gestisch, darstellerisch oder sprachlich? Und das finde ich ganz wichtig, dass es da keine Dominanz der Sprache geben sollte. Niemand versteht sie ganz. Und wahrscheinlich verstehen wir auch unsere eigene Sprache nicht ganz. Und dementsprechend guckt man, glaube ich, anders auf die ganzen Vorgänge. Neugieriger, aber auch mit mehr Vorsicht.
SABINE Irina, das Stück haben wir im Spielplan als unser generationsübergreifendes Familienstück eingeplant. Wir an der Parkaue haben grundsätzlich die Haltung, dass Familienstücke nicht unbedingt Klassiker sein müssen. Was macht es für dich zum geeigneten Familienstück?
IRINA Bei diesem Begriff „Klassiker“ ist ja auch immer die Frage, wer diesen Begriff definiert. Ich bin in Rumänien geboren und bin dort mit ganz anderen Geschichten aufgewachsen, mit Geschichten, die auch ganz toll sind. Für mich wird es also nie darum gehen, sich in Abgrenzung von einer Kinderliteratur zu bewegen, sondern zu fragen: Was sind denn die Geschichten von heute, die Geschichten unserer Zeit, die Geschichten unseres Publikums? Wie können wir Themen und Fragestellungen aufspüren, die Kinder heute beschäftigen? Und das kann man in sogenannten deutschen Klassikern finden, aber eben auch in einem Bilderbuch von Carson Ellis.

SABINE Martin, was können wir uns als Menschen von diesen Insekten auf der Bühne abschauen, was können wir mitnehmen von diesen Figuren?

MARTIN Drei Dinge: Aufmerksamkeit, Interesse und Gelassenheit. Und Neugier kommt noch dazu. Es hat was Befreiendes, sie zu sehen, weil sie viele unserer Probleme nicht teilen, sich begeistern lassen und auch noch erstaunt sind. Insofern ist wahrscheinlich Staunen das zentrale Moment, ja, dass man noch staunen kann.

Foto: Dave Großmann · Grafik: Ta-Trung