Von Freundschaft und der Rettung der Welt
Interview mit Ebru Tartıcı Borchers und Mathias Spaan aus dem Magazin „Theater und Schule 3“
In den Sommerferien sprachen die beiden Regisseur*innen Ebru Tartıcı Borchers und Mathias Spaan mit Stefanie Eue aus der Kommunikation über die Inszenierungen „Fiesta“ und „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“, über klappernde Brotdosen bei Probenbesuchen und gute Geschichten für Kinder und Jugendliche.
STEFANIE Wir eröffnen die Theatersaison mit dem neuen Kinderstück „Fiesta“. Erzählt wird von Nono und seinem 10. Geburtstag. Als ein Sturm übers Land fegt und es deswegen eine Ausgangssperre gibt, droht seine Geburtstagsparty abgesagt zu werden. Doch das lassen Nono und seine Freund*innen nicht zu. Ebru, ihr seid schon mitten in den Proben. Worauf legt ihr den Schwerpunkt?
EBRU Mich hat direkt einiges für „Fiesta“ eingenommen, z. B. wie das Stück Gruppendynamiken verhandelt. Nonos Freund*innen leben alle im selben Wohnblock und können sich deswegen trotz Ausgangssperre treffen. Nono wohnt in einem anderen Block und ist plötzlich ausgeschlossen. Wie handeln die Kinder in dieser Ausnahmesitua tion, wer darf mitmachen und gestalten – das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. Dazu kommt, dass „Fiesta“ die Geschichte als Rückblick erzählt und Nono selbst gar nicht auf der Bühne ist. Alles, was wir über die Hauptfigur erfahren, erfahren wir also durch seine Freund*innen und deren Wahrnehmung. Dieses Spiel mit Perspektiven ist theatral sehr reizvoll für uns.
STEFANIE Und dann gibt es noch den Sturm, der im Stück sogar einen Namen trägt: Maria Theresia, ein Orkan, so stark, dass er Hunde durch die Luft wir belt, sogar Pizzalieferwägen mitreißt.
EBRU Dieses Motiv schenkt uns viele Spielmöglichkeiten. Wir erforschen choreografisch, welche Bewegungen sich durch den Orkan ergeben. Der Gegensatz von Bewegung und Stillstand ist interessant; was wird erlebt, was machen die Körper? Gwendoline Soublin, die Autorin, hat „Fiesta“ in der Corona-Zeit geschrieben. Die Erfahrung dieser Zeit resoniert in uns, wenn im Stück dieser märchenhafte Orkan über die Kinder und ihre Familien hereinbricht und das normale Leben zum Stillstand zwingt.
EBRU Mich hat direkt einiges für „Fiesta“ eingenommen, z. B. wie das Stück Gruppendynamiken verhandelt. Nonos Freund*innen leben alle im selben Wohnblock und können sich deswegen trotz Ausgangssperre treffen. Nono wohnt in einem anderen Block und ist plötzlich ausgeschlossen. Wie handeln die Kinder in dieser Ausnahmesitua tion, wer darf mitmachen und gestalten – das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. Dazu kommt, dass „Fiesta“ die Geschichte als Rückblick erzählt und Nono selbst gar nicht auf der Bühne ist. Alles, was wir über die Hauptfigur erfahren, erfahren wir also durch seine Freund*innen und deren Wahrnehmung. Dieses Spiel mit Perspektiven ist theatral sehr reizvoll für uns.
STEFANIE Und dann gibt es noch den Sturm, der im Stück sogar einen Namen trägt: Maria Theresia, ein Orkan, so stark, dass er Hunde durch die Luft wir belt, sogar Pizzalieferwägen mitreißt.
EBRU Dieses Motiv schenkt uns viele Spielmöglichkeiten. Wir erforschen choreografisch, welche Bewegungen sich durch den Orkan ergeben. Der Gegensatz von Bewegung und Stillstand ist interessant; was wird erlebt, was machen die Körper? Gwendoline Soublin, die Autorin, hat „Fiesta“ in der Corona-Zeit geschrieben. Die Erfahrung dieser Zeit resoniert in uns, wenn im Stück dieser märchenhafte Orkan über die Kinder und ihre Familien hereinbricht und das normale Leben zum Stillstand zwingt.
STEFANIE „Fiesta“ ist ein Stück, das aus der Gegen wart heraus für ein Publikum von heute geschrieben ist. Ebru, du inszenierst regelmäßig neue Stücke und übersetzt zeitgenössische Dramatik ins Türkische. Dafür wurdest du kürzlich mit dem renomierten Frankfurter „Preis der Autorenstiftung“ ausgezeichnet. Entsteht aus einer Zeitgenossenschaft von Texten eine größere Relevanz?
EBRU Wenn wir auf der Bühne Themen verhandeln, die uns zeitlich nah sind, hat das eine größere Wirkung. Das Theater spricht dann direkter zu uns. Das merke ich tatsächlich auch bei den Stücken, die ich übersetze. Aber natürlich ist „Fiesta“ z. B. kein Corona-Stück. Vielmehr erzählt Gwendoline Soublin von Grunderfahrungen: von Freundschaft und Zusammenhalt, vom Umgang mit Unvorhersehbarem – und das mit Humor und großem Einfühlungsvermögen für ihre Figuren.
STEFANIE Humor, ein Gespür für Figuren und Themen, das sind gute Stichworte, um auch über Michael Ende und „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ zu sprechen. Mathias, du hast für das Hamburger Schauspielhaus bereits „Die unendliche Geschichte“ auf die Bühne gebracht. Welches Potenzial liegt in den Geschichten von Michael Ende?
MATHIAS Er ist einfach ein großartiger Geschichtenerzähler. Michael Ende baut in seinen Büchern fantastische Welten, die immer auch etwas mit uns zu tun haben. Und wie man diesen Zauber auf der Bühne erzählen kann, daran habe ich ein riesiges Interesse.
STEFANIE Humor, ein Gespür für Figuren und Themen, das sind gute Stichworte, um auch über Michael Ende und „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ zu sprechen. Mathias, du hast für das Hamburger Schauspielhaus bereits „Die unendliche Geschichte“ auf die Bühne gebracht. Welches Potenzial liegt in den Geschichten von Michael Ende?
MATHIAS Er ist einfach ein großartiger Geschichtenerzähler. Michael Ende baut in seinen Büchern fantastische Welten, die immer auch etwas mit uns zu tun haben. Und wie man diesen Zauber auf der Bühne erzählen kann, daran habe ich ein riesiges Interesse.
STEFANIE Wie willst du das erzählen?
MATHIAS Die Grundfrage ist für mich immer: Was ist der Schlüssel, um eine Geschichte heute neu zu erzählen? Für „Der Wunschpunsch“ hole ich die Zauberwelt von Michael Ende in unsere Welt. Meine Inszenierung spielt nicht in einem Zauberschloss, sondern auf einem Dachboden. Der Zauberer ist kein komischer Typ in einem quietschgelben Mantel, sondern einfach jemand, der da wohnt und etwas einsam ist. Das ist eine Verschiebung, wie sie ähnlich in Stoffen wie „Harry Potter“ stattgefunden hat.
STEFANIE Damit meinst du, dass wir Figuren erleben, die uns nah sind, die wir selbst sein könnten, oder?
MATHIAS Die Grundfrage ist für mich immer: Was ist der Schlüssel, um eine Geschichte heute neu zu erzählen? Für „Der Wunschpunsch“ hole ich die Zauberwelt von Michael Ende in unsere Welt. Meine Inszenierung spielt nicht in einem Zauberschloss, sondern auf einem Dachboden. Der Zauberer ist kein komischer Typ in einem quietschgelben Mantel, sondern einfach jemand, der da wohnt und etwas einsam ist. Das ist eine Verschiebung, wie sie ähnlich in Stoffen wie „Harry Potter“ stattgefunden hat.
STEFANIE Damit meinst du, dass wir Figuren erleben, die uns nah sind, die wir selbst sein könnten, oder?
MATHIAS Ja, genau. Ich sage also, dieser Zauberer, der die Welt zerstören will, das ist einer von uns. Gleichzeitig finde ich es spannend, herauszufinden, wie wir die Fantasie, die in dem Text steckt, beleben. Wie zaubert dieser Typ auf diesem Dachboden? Was benutzt er dazu? Vielleicht zaubert er mit seiner Milch und dem Wäscheständer. Das herauszufinden auf den Proben, darauf freue ich mich total.
STEFANIE In „Der Wunschpunsch“ geht es um die Rettung der Welt. Der Zauberer will die Welt zerstören – Tiere ausrotten, Wälder sterben lassen, Seuchen verbreiten –, dagegen arbeiten, wie oft in Märchen, zwei Tiere, die mutig über sich hinauswachsen. Eine Abenteuergeschichte, die Michael Ende mit Witz und Magie erzählt und die zugleich einen ernsteren Unterton hat. Darin gibt es eine Verwandtschaft zu „Fiesta“. Beide Stoffe verhandeln ernste Themen mit einer Leichtigkeit und Spielfreude.
MATHIAS Klar, Kindergeschichten können natürlich ernste Themen verhandeln, die Themen sind ja in der Welt und damit im Leben von jungen Menschen. Die besondere Chance des Theaters ist dabei, diese Themen und den Umgang damit für das Publikum spürbar und erfahrbar zu machen. Es geht um Gefühle, wie verbinde ich mich mit Gefühlen und wie verhalten wir uns. In „Der Wunschpunsch“ werden sich die Kinder eher mit den beiden Tieren identifizieren und mit ihnen gemeinsam gegen den Zauberer einstehen.
EBRU Ich habe das Gefühl, junge Menschen können mit vielem besser umgehen, als Erwachsene denken. Anfangs hatte ich etwas Angst vor dem jungen Publikum, weil ich davon ausgegangen bin, dass man bestimmte Dinge nicht sagen oder beschreiben, über bestimmte Themen nicht sprechen darf. Das waren einfach so meine Vermutungen über Kinder- und Jugendtheater. Im Arbeiten habe ich dann gemerkt, dass das nicht stimmt, dass es keine Tabuthemen gibt.
STEFANIE Ihr inszeniert beide für verschiedene Generationen. Macht es für euch einen Unterschied, ob ihr für Erwachsene oder für Kinder inszeniert?
MATHIAS Klar, Kindergeschichten können natürlich ernste Themen verhandeln, die Themen sind ja in der Welt und damit im Leben von jungen Menschen. Die besondere Chance des Theaters ist dabei, diese Themen und den Umgang damit für das Publikum spürbar und erfahrbar zu machen. Es geht um Gefühle, wie verbinde ich mich mit Gefühlen und wie verhalten wir uns. In „Der Wunschpunsch“ werden sich die Kinder eher mit den beiden Tieren identifizieren und mit ihnen gemeinsam gegen den Zauberer einstehen.
EBRU Ich habe das Gefühl, junge Menschen können mit vielem besser umgehen, als Erwachsene denken. Anfangs hatte ich etwas Angst vor dem jungen Publikum, weil ich davon ausgegangen bin, dass man bestimmte Dinge nicht sagen oder beschreiben, über bestimmte Themen nicht sprechen darf. Das waren einfach so meine Vermutungen über Kinder- und Jugendtheater. Im Arbeiten habe ich dann gemerkt, dass das nicht stimmt, dass es keine Tabuthemen gibt.
STEFANIE Ihr inszeniert beide für verschiedene Generationen. Macht es für euch einen Unterschied, ob ihr für Erwachsene oder für Kinder inszeniert?
EBRU Wenn wir über das Handwerk sprechen, macht es für mich keinen Unterschied. Ich arbeite oft mit ähnlichen Elementen, wie Video oder Choreografie. Rhythmus ist für mich ein wichtiger Punkt. Da gehe ich von mir aus und welche Erfahrungen ich als Zuschauerin mache. Ich brauche Abwechslung auf der Bühne, und ich will auch dem Publikum Abwechslung schenken. Wie lange können sich Kinder konzentrieren, ab wann wird ihnen langweilig? Daher achte ich darauf, in welchem Rhythmus ich erzähle, wann kommt ein neues Bild oder eine andere Musik, ein anderer Sprachrhythmus oder eine neue Figur?
MATHIAS Ich kann mich mit vielem verbinden, was Ebru gesagt hat. Kinder kommen mit der Schule oft zum ersten Mal ins Theater. Und diese Kinder für das Medium zu begeistern und sie eben nicht zu langweilen, das empfinde ich als total wichtig. Mit Inszenierungen sprechen wir eine Einladung aus, die Kunstform Theater zu erleben. „Der Wunschpunsch“ ist allerdings meine erste Inszenierung für kleinere Kinder. Bisher habe ich stärker Jugend stücke inszeniert. Da sind oft so riesige Gefühle eingeschrieben, es geht um Beziehungen und Pubertät, Coming-of-Age, Sturm und Drang. Manch mal empfinde ich, dass Kinder und Jugendstücke etwas purer und geradeheraus geschrieben sind, und das genieße ich sehr.
STEFANIE Über Formate wie die Proben und Premierenklassen versuchen wir, bereits in den Proben einen Kontakt zwischen dem späteren Publikum und den Künstler*innen herzustellen. Welche Rolle spielt es für euch als Regisseur*innen, dass Kinder und Jugendliche mit im Probenraum sitzen?
STEFANIE Über Formate wie die Proben und Premierenklassen versuchen wir, bereits in den Proben einen Kontakt zwischen dem späteren Publikum und den Künstler*innen herzustellen. Welche Rolle spielt es für euch als Regisseur*innen, dass Kinder und Jugendliche mit im Probenraum sitzen?
MATHIAS Es gibt Themen, wo ich mit einem inneren Maßstab schon prüfe: Mit welchen Bildern erzähle ich das jetzt auf der Bühne, ist das ein künstlerisches Mittel, eine theatrale Übersetzung oder ein Bild, das die Altersklasse einordnen und verarbeiten kann? Theater ist Probe – und solche Stellen kann man in Probenbesuchen überprüfen. Gleichzeitig sind Proben intime, geschlossene Räume. Mein Theater funktioniert wie eine Seifenblase, es ist zart und fein. Und ich gebe zu, ich bin auch empfindlich, wenn in dieser sensibler Probenzeit keine Konzentration ist oder Brotdosen klappern und noch miteinander gesprochen wird.
EBRU Mir geht es ähnlich. Auf der Probe sind wir lange Zeit eine kleine Gruppe, manchmal auch nur zwei bis drei Schauspieler*innen und ich. Wenn Probenklassen zu Besuch sind, sind plötzlich 30 Menschen im Raum. Das verändert die Situation komplett.
STEFANIE Das, was ihr sagt, kann ich gut nachvollziehen. Gleichzeitig erleben wir immer wieder, wie besonders dieser Blick hinter die Kulissen für Kinder und Jugendliche ist.
EBRU In den Endproben finde ich Probenbesuche auch sehr hilfreich, weil wir die Wirkung der Inszenierung testen können. Denn im Grunde können wir vorher nie genau wissen, welche Stellen als witzig oder aufwühlend empfunden werden. Dazu braucht Theater das Publikum. Und die Reaktionen sind manchmal so überraschend. Aber das ist es auch, was ich am jungen Publikum mag.
STEFANIE Das, was ihr sagt, kann ich gut nachvollziehen. Gleichzeitig erleben wir immer wieder, wie besonders dieser Blick hinter die Kulissen für Kinder und Jugendliche ist.
EBRU In den Endproben finde ich Probenbesuche auch sehr hilfreich, weil wir die Wirkung der Inszenierung testen können. Denn im Grunde können wir vorher nie genau wissen, welche Stellen als witzig oder aufwühlend empfunden werden. Dazu braucht Theater das Publikum. Und die Reaktionen sind manchmal so überraschend. Aber das ist es auch, was ich am jungen Publikum mag.
Fotos: David Baltzer